Zum Kunstprojekt BEZIEHUNGSNETZE aber sicher

FERTIG! NEU! Bald mehr ...

Bilder KULTURSCHEUNE Drochtersen

und in der schönen Asseler Kirche....

 

Nachdenken über das Projekt

 

 

 

Das Projekt ‚Beziehungsnetze…aber sicher‘  ist ein kommunikatives  Projekt unter der Prämisse, dem Mantel, der Decke  der Kunst .Es ist ‚nachhaltig‘ – es braucht nicht viel Vorlauf und kein großes Equipment. Es kommt mit wenig Material aus, Häkel-Nadel* und Faden. Den Widerhaken nicht zu vergessen. Es ‚trotzt‘ den Verhältnissen. Bietet ein Bild, ein Zeichen, einen Gegenentwurf an: Gemeinsamkeit in Zeiten der  verordneten Isolation. ‚Verordnet‘ durch politische Entscheidungen, die ihrerseits bestimmt sind durch eine Krisensituation ungekannten Ausmaßes. ‚Politik ist Handeln in Gruppen von Menschen‘ (bpb, Was ist Politik? Grundfragen).  Innerhalb des Projektrahmens befragen wir  uns:

 

                WAS HABEN WIR GEMEINSAM? Wir handeln, innerhalb einer  Gruppe.

 

Das Projekt ist im 2. Lockdown der Corona Pandemie entstanden. Es beginnt  im November 2020. Die ‚Herstellungsphase‘ endet im März ‚21. Es entwickelt  sich  weiter, bis jetzt, im Sommer 2021 .

 

 

 

Da ‚hüllen sich‘  über 200 Menschen gemeinsam in eine zunächst virtuelle  Decke, ein Zelt,  ein NETZ aus 2363 Teilen, das durch sie alle entstanden ist.  Es braucht die ‚Vision‘, die Vorstellungskraft und Imagination  aller  beteiligten Frauen und Männer, ihre Zeit, ihre Hände und  ihre analog zum  entstehenden ‚Produkt‘  wachsende Freude. Keine Ahnung wie das  ging. Es passierte einfach. So viele Hände .  Vielfach geäußert: Flow, Freude, Spirit . Dankbarkeit, mitten in der Krise.

 

 

 

Das Ganze ist ÜBERFLÜSSIG.  Es ändert nichts. Es hilft niemandem ‚wirklich‘. Es ersetzt kein Gespräch, keine Berührung. Es wärmt nicht konkret. Es kleidet keinen. Es nährt nicht. Und doch von all dem: etwas. Wir brauchen Zeichen. Brot und Wein ist Brot und Wein. Aber Brot und Wein sind auch Brot und Wein. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Ein Faden ist ein Faden ist mehr als ein Faden, vor allem wenn er sich in einem Gewebe befindet.

 

 

 

Es gibt kein Entweder - Oder  und kein Gegeneinander. Analoge und digitale Welten begegnen sich, verknüpfen sich zwanglos. Kunst und Handwerk und Handarbeit schließen einander nicht aus. Wie ‚Material‘ und ‚Produkt‘ gehen  sie eine lebendige, nicht-statische Verbindung ein.  ‚Palette‘ und ‚Skulptur‘ sind Begriffe, die an den Rändern verfließen. Mit dem  Moment des ‚Verfließens‘  verändern sich die Phänomene des Statischen  und des Dynamischen. Bewegung ist  fast Synonym, kennzeichnet Entstehung und Produkt gleichermaßen. Öffentlicher und privater Raum gehen ineinander über, das Netz der Beziehungen und die Vernetzten, sich Vernetzenden selbst.

 

Textilkunst ist Frauensache, Kunstgewerbe oder Folklore. „Vorurteile über die ästhetische Arbeit mit Stoffen sind extrem reißfest. Das Klischee des 19. Jahrhunderts, wonach das männliche Genie malt und meißelt, während weibliches Verschönerungstalent webt, strickt, häkelt und stickt, hält sich erstaunlich unausrottbar in der Rezeption großer Kunst. Aber dieses simple Bild zeigt zwei entscheidende Fehler: Der vielfältige Einsatz textiler Materialien in der Kunst kommt darin ebenso wenig zum Vorschein wie die große Rolle, die Techniken aus der Stoffgestaltung für die Abstrakte Kunst gespielt haben“, schreibt  Till Briegleb  über die Bandbreite der textilen Kunst für das Goethe Institut und wirft damit ein Licht nicht unbedingt dezidiert auf unser Projekt, aber auf die Mechanismen, Konstanten der Wahrnehmung, mutmaßlich vorwiegend des männlichen Blicks.

 

Er verweist auf zahlreiche Beispiele und fasst zusammen: sie alle zeigen, dass der Stoff der Kunst häufiger aus Stoff ist, als es dem einfach gestrickten Gemüt so vorschwebt. Das alles in dem ebenso aufschlussreichen wie vergnüglich zu lesenden Artikel ‚Textile Kunst - DER ROTE FADEN DER HOCHKUNST‘ für die Internet-Redaktion des Goethe-Instituts im April 2014.

 

 

 

Viele Quadratmeter  textilen Gewebes, kleine Stücke, die von vielen angefertigt wurden und von vielen zusammengesetzt. In Situationen und Kontexten, so unterschiedlich sie sein können und von den Menschen, die dort hinein gebunden waren. Ähnlich oder gleich immer der jeweilige Grad der Isoliertheit. Kollektives unfreiwilliges Cocooning, das  sich über uns legte wie eine schwere Decke und uns in seine Fäden spann. Wir wickelten den Faden ab, nahmen ihn auf  und  verwandelten ihn in etwas Neues.

 

 

 

Innerhalb der Abgabezeit gingen täglich Einsendungen ein, Briefumschläge, Beutel, Päckchen, Pakete, ein Fluss. Und am Ende war diese sagenhafte Menge an vielfarbigen Quadraten zusammen gekommen. Immer neue Erfindungen, bei den Quadraten selbst und im Verlauf des gesamten Prozesses, die Unterbringung und Sortierung, die Verteilung, das Verbinden zu immer größeren Stücken, die Katalogisierung  der Eingänge und Organisation der einzelnen Schritte. Zusammenspiel und Einzelarbeit. Von beidem viel. Stets unter Beachtung der Pandemie-Bedingungen, sicher eben.

 

 

 

Am Ende sind es  drei große Tücher , weitgehend angeordnet in Farbverläufen - und  noch andere „Netz“-Bestandteile, insgesamt 93 m². (Eine textile Hinterlegung zur Stabilisierung der unterschiedlichen schweren Gewebe ist in Arbeit.) Alles ist  in beengten privaten Umräumen entstanden, bis ganz zuletzt. Vom Einzelstück bis zum ‚großen Ganzen‘. Du stehst davor oder bist mitten darin in diesen schillernden riesigen Schleppen aus kleinen  bunten Lappen, Allerleihrauh, tätig oder einfach nur schauend. Es ist schräg und berührend zugleich, ein bisschen unheimlich diese Haufen zu Maschen gewordener menschlicher Zeit. Zwischen Lachen und Weinen und mit Respekt würdigen wir jedes  einzelne Teil.

 

 

 

Es war, ist - und hier spreche ich  für mich – ein  Erlebnis für Leib und Seele , diesem Prozess so HAUT NAH  folgen zu können. Spätestens  mit dem zum Schlagwort gewordenen Begriff der sozialen Plastik, der wie kein anderer auf das gestaltende Wirken einer Gemeinschaft, „der Gesellschaft“ abzielt, ist der künstlerische Prozess abgetrennt vom  künstlerischen Produkt denkbar.

 

Ebenfalls eine neue Erfahrung: nicht allein mit den eigenen Händen zu arbeiten, sondern Konzept  und Produkt wachsen und entstehen zu lassen im sich beständig ent-wickelnden Prozess mit anderen.

 

Was entsteht nach der Choreografie der Schritte und Einzelaktionen ist ein textiler Berg, ROHMATERIAL , besser : MATRIX, also Grundmasse, Grundsubstanz eines veränderlichen, seinem Wesen nach  skulpturalen, plastischen Prozesses. Hängen, Bauen, Bergen,  Zudecken, Enthüllen, Körper erfinden oder verbergen, eine umfangreiche Palette von Farben, Fasern und Möglichkeiten. Entstanden ist  eine Haut, die einen Körper bilden kann , aus Beziehungen ausgespannter und ausgeworfener Schnüre, Fäden, die miteinander verwoben sind– unter dem DAZU TUN all derer, die mitgearbeitet und Teil gegeben und  Teil genommen haben. Eine Amöbe, das Wechseltierchen. Ein Einzeller, der Zellkolonien bilden kann, die sich zu immer neuen Formen zusammenschließen. Die Sache bleibt in Bewegung. Sie ist ergebnis-offen .Der Dank geht an alle.

 

 

 

 

 

* In der Linksammlung für den Blog (wir-e.de) des Frauenwerks finden wir einen winzigen Ausschnitt der aktuellen explodierenden Vielfalt   partizipativer textiler und ‚Häkel-Projekte‘. Ein kurzer Abriss zur Geschichte des Häkelns findet sich hier https://www.cadooh.de/index.php/historie/,  für Interessierte auch  https://textilegeschichten.net/